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Die vielen Tode von Rapallo

Alexandre Rahr • März 30, 2022

Ein Debattenbeitrag von Dr. Alexander Rahr.

Die Rapallo Politik begeht ihr 100jähriges Jubiläum. Am 16.4.1922 trafen sich die Außenminister der beiden Verlierermächte des Ersten Weltkriegs, Russland und Deutschland, um in einem Geheimvertrag Wege der wirtschaftlichen und militärischen Zusammenarbeit zu beschließen. Der Versailler Vertrag von 1919 hatte eine neue europäische Ordnung geschaffen, in der Deutschland die Hauptlast bei der Bewältigung der Kriegsfolgen zu tragen hatte. Das sowjetische Russland – im Folgenden die kommunistische Sowjetunion – wurde aus Europa isoliert und entwickelte sich wegen seiner bolschewistischen Weltrevolutionsambitionen zum Feind des Westens.


Die Rapallo-Politik existierte nicht lange, mit dem Machtanstieg der Nationalsozialisten in Deutschland kehrte die Feindschaft zwischen Moskau und Berlin zurück. In der westlichen Geschichtsschreibung gilt Rapallo trotzdem als ein Vorläufer für den Hitler-Stalin-Pakt (1939). Die europäische Mittelmacht Deutschland wollte in seinen Auseinandersetzungen mit den westlichen Staaten die Sowjetunion neutral halten. Und Stalin sah in Deutschland stets ein Instrument, um Europa zu spalten.


Nach dem Zweiten Weltkrieg, der Kapitulation und Aufteilung Deutschlands war vom „Geist von Rapallo“ nichts mehr übriggeblieben. Erinnerungen an Rapallo wurden jedoch 1952 mit der Stalin-Note wach. Der Kreml schlug eine Wiedervereinigung Deutschlands auf der Grundlage einer Neutralität vor. Die Bundesrepublik sollte die NATO verlassen. Stalin betrachtete Deutschland weiterhin als eine europäische Mittelmacht, die nicht vollends unter den Einfluss der angelsächsischen Staaten gelangen sollte. Doch in der Jalta-Nachkriegsordnung stand Westdeutschland fest verankert in der transatlantischen Sicherheitsordnung. Es wurde nichts aus der Neuauflage von Rapallo.


In den 1960er Jahren entwickelten deutsche Sozialdemokraten das Konzept einer Ostpolitik, des Wandels durch Handel mit der Sowjetunion. Über friedliche Koexistenz und Entspannungspolitik sollten Frieden und Annäherung auf dem europäischen Kontinent mit den kommunistischen Ländern des Ostblocks erreicht werden. Tatsächlich blieb die Bundesrepublik jedoch fester Bestandteil der NATO und EU. Trotzdem schuf die Ostpolitik eine Art Sonderbeziehung zwischen der Sowjetunion und Westdeutschland, die nicht zuletzt den Deutschen zur Wiedervereinigung verhalf. Letztere wurde bekanntlich von Moskau unterstützt, nicht zuletzt im traditionellen geopolitischen Glauben russischer Diplomatie, dass letzten Endes das wiedervereinigte Deutschland zu einer europäischen Mittelmacht aufsteigen könnte und den NATO- und US-Einfluss über Europa neutralisieren sollte.


Wieder blieb Deutschland fest an der Seite des transatlantischen Bündnisses, anders als es Moskau wollte, kam es zur Nato- und EU-Osterweiterung und der Schaffung einer europäischen Sicherheitsordnung, aus der Russland praktisch ausgeschlossen war. Zwar setzte Putin in seiner Europa-Politik zunächst weiter auf ein Sonderverhältnis zu Deutschland; er versuchte sogar den Begriff der Rapallo-Politik im positiven Licht wiederzubeleben, aber eine Reaktivierung der alten Ostpolitik scheiterte aufgrund der Ukraine-Krise 2014. Zaghafte Versuche Deutschlands und Russlands, das Konzept eines gemeinsamen europäischen Raumes von Lissabon bis Wladiwostok nicht untergehen zu lassen, waren in der Folge gänzlich zum Scheitern verurteilt.


Der Krieg in der Ukraine 2022 hat Deutschland und Russland zu Gegnern gemacht. Nie waren die USA, der alte Westen und das neue Osteuropa so vereint gegen Russland wie heute. Am 16. April 2022 wird sich kaum jemand an das 100jährige Jubiläum von Rapallo erinnern. An eine vorteilhafte Kooperation zwischen Russland und Deutschland in naher Zukunft glaubt kaum jemand mehr. Rapallo ist vermutlich endgültig zu Grabe getragen worden. Gleichwohl wird es zwingendermaßen auch künftig Zusammenarbeit geben müssen, zumindest in solchen globalen Kernbereichen wie Abrüstung und Klimapolitik.

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